Weltfrauentag: Der kritische Blick eines Künstlers auf das Verborgene

Mit seinen Werken bricht er Tabus. Er reflektiert über die puritanische Interpretation des Islams und Traditionen, fasst der Männerwelt empfindlich in den Schritt und lebt damit gefährlich. Für Frauen wünscht sich der Künstler, dass sie ihre Persönlichkeiten leben dürfen.  

Wir sitzen in einem kleinen Raum inmitten von Bildern und diskutieren über das sittenstrenge Frauenbild, wie es den islamischen Fundamentalisten gefällt. Er zieht das erste Bild hervor. Die Farben sind düster, die Objekte unscharf. Ahmad thematisiert die Bekleidungsvorschrift und Frauen, die in schwarzen, bodenlangen Säcken stecken und durch zwei Löcher blicken, wie es der Künstler formuliert.

DSC_0006Diese schwarzen Hüllen verdecken nicht nur ihre Körper, sondern auch ihren Ausdruck, ihre Emotionen, ihre Gefühle – all das, was einen Menschen ausmacht. Sie begraben Persönlichkeiten. Mit diesen Vorschriften stellen wir unsere Frauen an den Rand der Gesellschaft, kritisiert der Künstler. Diese Bekleidungsvorschriften sind nicht von Gott gewollt, sondern von Menschen gemacht – ein System der Kontrolle.

DSC_0013Im nächsten Bild richtet Ahmad seinen Blick auf jene Frauen, deren Stimmen vor Gericht nur halb so viel wert sind, sowie die ihre Meinungen nicht äußern dürfen und zum Schweigen verurteilt sind. Der Künstler fixiert einen Löffel entlang der Nase und interpretiert damit einen Frauenmund, der ausschließlich der Nahrungsaufnahme dient. Werden die Verhaltensregeln missachtet, droht ihnen das Schwert – und damit der Tod. Mit den sechs Jahreszahlen von 1409 bis 2014 am Bildrand weist der Künstler auf die anhaltende mittelalterliche Sichtweise hin. Das Jahr 2014 markiert den Vormarsch der Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Nordirak.

Ahmad ist geborener Muslim, verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Wie leben die Frauen an seiner Seite, frage ich ihn. Religion ist in Ahmad’s Familie kein zentrales Thema. Seine Töchter sollen keine Angst vor Gott haben und können ihn lieben, wenn sie das wollen. Jedoch wünscht er sich weltoffene Kinder, die nicht durch eine rigide Interpretation des Islams von der Außenwelt abgeschnitten sind. Seine Frau ist gläubig, jedoch weder verhüllt, noch trägt sie ein Kopftuch – und wenn sie sich mal den Kopf bedeckt, dann nicht aus religiösen Gründen, sondern weil es ihr gefällt. „Meine Frau bewegt sich frei, sie sagt ihre Meinung und sie kleidet sich nach ihrem Geschmack. Ganz normal“ erklärt Ahmad.

DSC_0002 2Im nächsten Bild liegt ein Mann quer auf vier Frauenkörpern. Ein Hinweis darauf, dass es im Koran dem Mann erlaubt ist, vier Frauen zu heiraten. Was fühlt eine Frau, die sich ihren Mann mit anderen teilen muss? Wie geht es ihr, wenn die anderen Frauen bevorzugt werden? Fragen, die Ahmad beschäftigen. Folge dessen reduziert der Künstler die Frauen auf ihren bloßen weiblichen Körper, denn – hat ein Mann vier Frauen, dann geht es nicht um Liebe, sondern um Sex, kommentiert der Künstler sein Werk. Frauen mutieren für den Mann zu Werkzeugen und werden nicht als menschliche Wesen mit Gefühlen, Emotionen und einer Persönlichkeit wahrgenommen. Deshalb erscheinen sie hier gesichtslos.

DSC_0010 2Das rote Tuch mit dem Schwert thematisiert die Jungfräulichkeit bei der Heirat, die von Frauen in vielen traditionellen Gesellschaften noch erwartet wird. Das Leintuch muss nach der ersten Hochzeitsnacht Blutspuren aufweisen. Tut es das nicht, gilt die Frau als beschmutzt und es kann für sie sogar den Tod bedeuten. Man spricht dann von Mord, um von der Familie Schande abzuwenden. Ehrenmorde sind in der ganzen Region noch weit verbreitet und vor allem in der Stammeskultur verankert, als durch die Religion begründet. Im Gegensatz dazu bleibt das Vorleben des Mannes auch nach der ersten Hochzeitsnacht ein Rätsel.

Anlässlich des internationalen Frauentages wünscht sich der Künstler für die Frauen mehr Freiheit, ein Recht auf Meinungsäußerung, und dass sie ihre Persönlichkeiten leben können. Frauen sollen Männer respektieren, jedoch nicht von ihnen in Besitz genommen werden.

Mit seinen sozial- und gesellschaftskritischen Inhalten seiner Bilder bewegt sich der Künstler, Ahmad Nabaz, auf einem schmalen, mitunter gefährlichen Grat und Kollegen raten ihm davon ab. Sein Credo: „Man muss der Künstler seiner Zeit sein, in der man lebt“.

Autor: reginatauschek

Weltbürgerin.

Ein Gedanke zu „Weltfrauentag: Der kritische Blick eines Künstlers auf das Verborgene“

  1. Ein mutiger Künstler, aber Kunst braucht wohl immer Mut. An dem Thema Frauenrechte erkennt man (unbeschadet des Nachholbedarfs in der westlichen Welt) unbestreitbare Kulturunterschiede. Das Leben der Schwester bzw. der Tochter hat weniger Wert als die vermeintliche „Ehre“ der Familie.
    Die Verwirklichung des individuellen Glücks hat auch keine bestimmende Bedeutung. Die Eingliederung in die Grossfamilie zählt.
    Ich hoffe, dass es in Zukunft noch viele Frauen wie Manal al-Sharif aus Saudi-Arabien gibt. Sie hat sich über Verbote hinweggesetzt – und fuhr Auto!

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