Von Null bis Acht

Ein Schlaf im drei-Stunden-Takt, der geistige Sprung über das Auto und ein tiefes Durchatmen beim Öffnen des Computers.

Es ist 3:43 Uhr morgens. Der Muezzin ruft zum Gebet und erscheint mir im Geiste übermenschlich. Er ruft nicht vom Minarett, auf das ich mit Distanz von meiner wunderschönen Dachterrasse blicke, sondern von der Moschee hinter dem Haus, dessen Lautsprecher direkt auf mein Schlafzimmerfenster gerichtet ist. 15 Minuten später beginnt er mit dem Gebet in wohlgefälligem Klang. Gesang schwingt in seiner Stimme. Inzwischen bin ich mit meiner Umgebung soweit im Einklang, dass ich seit einigen Tagen Minuten vor seinem Ruf erwache, und mich wundere, den Muezzin noch nicht gehört zu haben, um weiterschlafen zu können.

Ich ziehe mich zwei-lagig bekleidet unter drei Bettdecken zurück. Amman’s winterliche Schwachstelle ist die Heizung, und die gefühlte Zimmertemperatur schwankt zwischen kalt und eiskalt. Um sechs Uhr morgens läutet erstmals der Wecker und ich lege zwei Schalter um, damit ich um sieben Uhr warmes Wasser habe. Heizung und Warmwasser funktionieren in meinem Appartement mit Öl und das kostet ein Vermögen, sodass ich die Pumpe nur morgens und abends kurz in Betrieb nehme.

Widerwillig krieche ich nach erneutem Weckerläuten aus meinem Schlafgemach und begebe mich unter die Dusche. Heute ist auch das Wasser kalt – eiskalt, denn meine Ölreserven sind aufgebraucht. Dabei ist Haare waschen dringend nötig. Rasch schlüpfe ich in meine Daunenjacke, begebe mich in die Küche und koche Wasser in Töpfen. Nach einer mühselige Morgenwäsche und in Wolle und Daune gekleidet, setze ich mich vor den kleinen Stromradiator und umklammere meine Tasse Kaffee, die zusätzlich ein bisschen Wärme abgibt.

Draußen scheint die Sonne, das Thermometer zeigt fünf Grad Celsius und ich mache mich auf den Weg ins Büro. 30 Minuten sind es zu Fuß. Die Bewegung wärmt und bringt meinen Kreislauf in Schwung. Über mein Handy höre ich Arabisch lernen mit „The Grooves“. Die Straßen zum Büro sind nicht besonders fußgängerfreundlich. Die Gehwege sind zumeist schmal und von Bäumen verbaut. Ich marschiere gebeugt unter tiefliegenden Baumkronen, dränge mich zwischen Hecken und Hausmauern und überwinde Einfahrten, mit bis zu kniehohen Randsteinen. Dass Amman mehr Fahrzeuge hat, als das Verkehrsnetz absorbieren kann, führt mitunter dazu, dass Autos quer über den Gehsteig und auf Tuchfühlung mit der Hausmauer geparkt werden. Eben laufe ich auf einen solchen Querparker zu, und  habe vor Augen, wie ich einen Fuß auf den Reifen setze, souverän auf die Motorhaube steige, diese mit zwei Schritten überquere, locker auf der anderen Seite hinunterspringe und unbekümmert weiter marschiere, doch – kurz davor weiche ich auf die Straße und laufe im Sog vorbeifahrender Autos bis zum Büro.

Am Schreibtisch angekommen, stelle ich meinen 10 kg Rucksack ab, öffne meinen Laptop und atme durch. Die größten Hürden des heutigen Tages sind geschafft, denke ich.

Der Text ist inspiriert von Cafeweltenall und dem Projekt einen Alltag zu beschreiben. Allerdings füllte sich der Text bereits um acht Uhr morgens.

Autor: reginatauschek

Weltbürgerin.

12 Kommentare zu „Von Null bis Acht“

  1. keine Sonnencollectoren für Heiwasser? Sie sind sooo wichtig, brauchen kaum gewartet zu werden, liefern ständig Heißwasser und ihre Anschaffung ist nicht mal besonders teuer. In Athen gibt es sie schon lange als Standard der Haushalte.
    Die Verkehrsverhältnisse sind hier ähnlich, auch die Art zu parken.

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    1. Oh ja, Sonnenkollektoren gibt es, aber nicht überall. Gerade hier, wo es so viel Sonne gibt, sind sie so sinnvoll. In meiner neuen Wohnung werden gerade welche für das Warmwasser eingebaut. Der nächste Winter wird dann besser 🙂

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  2. iiiiihhhhhh – mir ist beim lesen ganz seltsam geworden. so kalt und so laut! du bist ja wirklich hart im nehmen. ich hoffe sehr, dass zumindest die temperaturen besser werden. ich nehme an, dass oropax bei diesem lärm nicht dicht genug sind…

    liebe grüße

    uschi

    Mag.a Ursula Christl J.W.Kleinstraße 36 A-4040 Linz https://frauenleben.eu

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    1. Liebe Uschi, es ist der Kontrast zu den Nationalparks bei eurer Australienreise. Oropax liegen mir leider gar nicht. Angeblich gewöhnt man sich daran … ich stecke noch mitten im Prozess. Liebe Grüße und bis bald! Regina

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  3. Hi, deine Beschreibung erinnert mich an die meines Mannes. Er hatte beim überqueren der Straßen, das Gefühl abgeschossen zu werden. Er beschrieb Aman damals als sehr laute und schmutzige Stadt. Ich hoffe es hat sich gebessert. LG Sabine

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    1. Liebe Sabine, Amman ist eine Großstadt mit viel Verkehr. Schmutz hält sich in Grenzen. Neben antiken Schätzen hat Amman aber auch viele schöne und Interessante Seiten, die man durchaus genießen kann. LG Regina

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  4. Pingback: Alltag 6 |

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