Kunst für alle auf Amman’s Straßen

Ausdrucksstark, mächtig und mutig machen sie auf sich aufmerksam, als Botschafter für Akzeptanz, Gerechtigkeit und ein friedliches Miteinander ergreifen sie Raum. Sie wollen Bewusstsein schaffen, gestalten und verändern, manchmal auch nur gesehen werden und ein wenig Freude schenken.

Farbe tut dem Einheitsbeige der Stadt Amman gut. Auch so mancher freie Gedanke, den junge Straßenkünstler*innen auf die Hausfassaden walzen und sprühen. Dafür sorgen neben einer bunten Kunstszene, zahlreiche Initiativen und allen voran, das Baladk Street Art Festival, bei dem sich jährlich Graffiti-Künstler aus Jordanien und dem Ausland treffen.

Was sich heute als Baladk Street Art Festival mit internationalen Künstlern etabliert hat, begann 2013 als kleines Projekt, initiiert von Freunden und Freiwilligen des Al Balad Theaters in Amman. „Kunst für alle“ war das Motto, und unabhängig von ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft muss sie sein. Abseits vom bürgerlichen Theater schien die Graffiti-Kunst das ideale Medium für die breite Öffentlichkeit. Die Entwicklung von der Projektidee zum regionalen Kultur-Event und einem internationalen Festival war stetig.

Nicht, dass die jordanische Gesellschaft auf diese Kunstform gewartet hätte. Nein, vielmehr war es ein Prozess des gegenseitigen Verständnisses, des Austausches, des Ausprobierens, des sich Herantastens und des Vertrauens. Anfängliche Skepsis seitens der Behörden und der Bevölkerung ist einer breiten Akzeptanz gewichen. Viele betrachten mittlerweile die Kunstwerke in ihrer Nachbarschaft mit Stolz. Künstler werden bei ihrer Arbeit zumeist von der Bevölkerung mit Speisen und Getränken versorgt, der beeindruckte Besucher freundlich empfangen. Tabu sind politische, königliche und religiöse Themen. Sozial- und Gesellschaftskritisches flackert hier und dort über mehrere Stockwerke auf.

Die Frau im Fokus

Gleichberechtigung und die Rolle der Frau ziehen sich durch die unterschiedlichen Themen, die jährlich von Mu’ath Isied, dem Kurator des Baladk Street Art Festivals, vorgegeben werden, wie etwa mit „Du und Ich“,  „People“ oder „Inclusion“.

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Balim (2018), Künstler: Hombre SUK (GER)

Balim” ist das Bild einer Frau mit bewusst herausforderndem Blick und einem Hauch Provokation, um das stereotype Frauenbild einer Hausfrau aufzubrechen. Ziel ist es, Stärke und Selbstbestimmung einer Frau darzustellen. Im Stil zwischen Comic und Realismus ist dies den deutschen Künstlern eindrucksvoll gelungen.

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Reflection (2018); Künstlerin: Dina Saadi (UEA)

Reflection” (2018) zeigt eine Frau, die sich im Spiegel betrachtet. Die Künstlerin richtet sich damit an junge Mädchen, sich selbst zu reflektieren und ermutigt sie, in einer konservativen Gesellschaft ihren eigenen Weg zu finden, zumal dieser weitgehend von den Eltern bestimmt wird. Das Bild, das wir im Spiegel sehen, zeigt nicht, wer wir sind, das wahre „Ich“ spiegelt sich in unserer Seele, unseren Gedanken und unseren Wertvorstellungen, erläutert die Künstlerin ihr Werk. 

Auch verschiedene Organisationen machen sich die Wirkung von Wandmalereien für Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung zunutze, wie die folgenden Beispiele zeigen:

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We are one (2016); Künstler: Akut of Herkamt (GER)

We are one“ steht in arabischer Schrift geschrieben und benennt die Wandmalerei, die in der geschäftigen Innenstadt von Amman prominent zu sehen ist. Dieses Porträt, mit einer männlichen und einer weiblichen Gesichtshälfte ist Teil eines Projektes zur Förderung des sozialen Dialoges zu Geschlechtsidentität und Gleichberechtigung von Mann und Frau. Zweifelsohne ein herausforderndes Thema in einer konservativen und traditionellen Gesellschaft.

Sozialkritisch
The Breaking Silence (2019); Künstlerinnen: Miramar Al Nayyar (IRQ), Dalal Mitwally (JOR)

Das Wandbild “The Breaking Silence” erstreckt sich über acht Stockwerke und thematisiert die immer noch verbreitete Gewalt an Frauen. Im Vordergrund steht die Frau mit erhobenem Kopf, als Zeichen von Stolz und Stärke. Sie ist bewusst in schwarz-weiß gemalt, um nicht von ihrem kraftvollen Ausdruck abzulenken, erklärt die Künstlerin. Umgeben vom Satz „Lass deine Augen auf die Berggipfel gerichtet sein“, unterstreicht ihre Haltung sich selbstbewußt den Herausforderungen zu stellen. Dass sich das Wandbild auf einer belebten Einkaufsstraße befindet, wo die Geschäftsleute ausschließlich männlich sind, ist kein Zufall, denn auch im Bereich der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt sind Frauen benachteiligt.

Kulturelle Vielfalt

Die jordanische Bevölkerung ist bunt. Mehr als 50 % sind Palästinenser. Neben Tscherkessen, Turkmenen, Tschetschenen, Drusen und Roma gibt es auch eine beachtliche Zahl Iraker. Seit der Syrienkrise leben rund eine Million syrische Geflüchtete  in Jordanien. Die Vielfalt der jordanischen Gesellschaft kommt auch in der Straßenkunst zum Ausdruck.

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The Exile (2016), Künstler: Fintan Magee (AUS)

The Exile” zeigt ein Mädchen in zwei Welten. Es blickt nach vorne in eine ungewisse Zukunft, ihr Schatten zurück, in die Welt, die sie zurückgelassen hat. Der Künstler begegnete dem Mädchen im Za’atari Camp, in dem 80,000 Syrische Flüchtlinge im Norden Jordaniens leben. Es floh mit ihren drei Brüdern und lebt nun in einer Einrichtung für Kinder, die ohne Eltern im Camp ankamen.

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The Plastic Mannequin and the Hybrid Folklore Dress (2016); Künstler: Hazan Halwani (LEB)

“The Plastic Mannequin and the Hybrid Folklore Dress” (2016) ist der Titel dieses Wandbildes und zeigt eine Schaufensterpuppe aus einem der Souvenirläden in der Innenstadt, dessen Kleid jordanische, palästinensische und tscherkessische Folklore vereint. Ein Ausdruck für die kulturelle Vielfalt in dieser Region. Darüber hinaus ist dieses Bild ein kalligrafisches Werk, denn bei naher Betrachtung sieht man, es setzt sich aus arabischen Buchstaben zusammen.

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Lady in Grey (2017); Künstler: Suhaib Attar

Lady in Grey“ zeigt eine Frau in moslemischer und christlicher Tracht und deutet auf das Zusammenleben unterschiedlicher Glaubensrichtungen. 93 % der Jordanier sind Muslime, 5 % sind Mitglieder christlicher Religionsgemeinschaften. Ein schmaler Grat, den der Künstler zu gehen wagt. Anfänglicher Widerstand wurde durch Gespräche mit der Bevölkerung beseitigt. Die Botschaft des Künstlers ist deutlich: Wir alle leben in Harmony und keiner kann ohne dem anderen sein. Die Vielfalt hat Jordanien stark gemacht, ist der Künstler überzeugt.

Schrittweise erobern junge Künstler ihre Straßen. Street Art ist ein wirksames Instrument, um seine Gedanken und Gefühle auszudrücken, sowie die vielfältigen Formen der Unterdrückung zu kommunizieren und ihnen zu widerstehen.

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Titel unbekannt; Künstler/in bisher nicht offiziell kommuniziert

Das Bild dieser beiden Frauen erscheint dezent und fällt erst auf den zweiten Blick auf. Es wurde vom Flachdach eines Hause auf die Fassade des angrenzenden Gebäudes gemalt. Zwei sich Liebende, wobei die Interpretation der Liebe zwischen Tochter und Mutter einen Ausweg schafft. Homosexualität wird in der jordanischen Gesellschaft tabuisiert und ist nicht akzeptiert.

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Imagine (2019); Künstler/in: Duo Sourati (IRA/GER)

Imagine“ (2019) ist der Name dieses Bildes, mit einer Frau in weißem Kleid und über ihr ein Vogelschwarm. Im Unterschied zur Personen, werfen die Vögel keine Schatten. Das Wandbild steht für unsere Träume, unsere Sehnsüchte und Visionen, es soll jede Frau ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Letztes Jahr wurde das Baladk Street Art Festival unter dem Motto „Inclusion“ durchgeführt. Die Kernbotschaft war, das Verbindende über das Trennende zu stellen, indem wir wieder mehr zuhören und die Ängste unseres Gegenübers besser verstehen lernen.

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Human Seeds (2019), Künstler: Vertigo Graffiti (COL)

Human Seeds” (2019) zeigt einen jordanischen Bauern in einer der symbolträchtigsten Landschaften Kolumbiens (El Valle des Cocora), woher die Künstler stammen. Die Künstler machen auf die Landwirte aufmerksam, die sowohl in Jordanien als auch in Kolumbien eine bedeutende Rolle spielen, allerdings oft nicht die gebührende Wertschätzung bekommen.

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Tribut for Neimat Al Mufti (2019); Künstler: Suhaib Attar

„Tribut for Neimat Saleh Bseiso al Mufti“ ist eine Erinnerung an eine Anwältin und Aktivistin für Menschenrechte, die jedoch der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. In den 50er Jahren gründete sie die erste Schule für geflüchtete Kinder aus Palästina. Sie starb in den 90er Jahren.

Ein Superhero of our own, the Bedouin Lady“ zeigt eine Beduinin in ihrer farbenfrohen, traditionellen Tracht in der Innenstadt von Amman.

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A Superhero of Our Own, the Bedouin Lady (2019), Yazan Mismar

Dieses Jahr steht das Baladk Street Art Festival unter dem Motto „Art is Environment – Environment is Art“  mit speziellem Focus auf das Thema Müll und Recycling, und wird Bestandteil einer Abfallkampagne sein, die ich fürs nächstes Frühjahr organisiere. Aufgrund der COVID-19 Pandemie kann das Festival leider nicht wie geplant Ende Mai 2020 stattfinden, und wird voraussichtlich im Herbst durchgeführt. Ich hoffe sehr, dass es klappt!

Autor: reginatauschek

Weltbürgerin.

Ein Gedanke zu „Kunst für alle auf Amman’s Straßen“

  1. Ich habe von jeher eine Schwäche für Wandbilder und hier sind wirklich ein paar ganz besondere Exemplare dabei.
    Auf die Abfallkampagnenbilder bin ich auch gespannt – wir werden sie doch zu sehen bekommen?

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