Gefangene in Amman: „Es hat seinen Grund …“

Der Affe ist eine Gazelle in den Augen seiner Mutter, lautet ein arabisches Sprichwort. Das gilt auch für Amman und wir klammern uns hartnäckig an ihre Schönheit. 

Bereist man die Welt, muss man sich an vieles anpassen: das Land, die Menschen, die Kultur und einiges mehr. Bestenfalls nimmt man die Dinge, wie sie sind. Das fällt leicht, oder auch nicht, oft geschieht es mit Freude, aber eben nicht immer.

Soeben von unserem Wochenendausflug zurückgekommen, stecken wir wieder einmal im Stau. Während ich eine CD einlege, verkündet ein Mitreisender von der Rückbank: „Ich liebe diese Stadt und könnte vor Freude kotzen.“ Ich drücke die Play-Taste, und Fabio zupft die Gitarrensaiten zum Lied „Ha il suo porko perché“. Darin besingen er und Sofia die Schönheit der Stadt, ohne dabei so manchen Beigeschmack auszublenden.

Ha il suo porto perché – Album: Prisoners in Amman

Der Sonnenuntergang über dem Stadtteil Jabal Hussein, der die mit Häusern gespickte Flanke in ein Gemälde von Monet verwandelt. 
Die begehrten Lokale in Downtown mit dem besten Barbecue und der hervorragendsten Süßspeise Kunefi, wo Menschen Schlange stehen. 
Die Autos, die sich jeden Abend entlang der Bars durch die engen Straßen des arabischen Bermudadreiecks schieben, um zu sehen und gesehen zu werden.  

Don Mario, ein italienischer Priester, der hinter hochgezogenen Mauern im Vorhof seiner Kirche hausgemachte italienische Pizza, Pasta und Eiscreme zum Selbstkostenpreis serviert, den wir nicht nur wegen seine köstlichen Speisen von ganzem Herzen lieben. 

Die Fußgängerzone Abdali Boulevard mit ihren museumsartigen Luxusgeschäften, wo saudische Prinzen abends flanieren.
Die Bierbrauerei Carakale, wo sich Jordanier in radikalem Schick cool und lässig präsentieren.
Die Reste der Zitadelle, die von den umliegenden Hügeln zwischen den Häuserspalten zu sehen sind. 

Die moderne Schrägseilbrücke nach Abdoun, von der sich immer wieder verzweifelte Menschen in den Tod stürzen.
Der Park, wo man sich unter dem Laub auf die Suche der eigenen Seele begibt.
Die Bürokratie der Behörden, die einem durch ein Labyrinth zurück zum Ausgangspunkt lotst und schließlich Geduld einfordert.   

Der Garten des Nachbarn, von dem man sich gelegentlich Minze, Zucchini, Salbei und Tomaten abzweigt. 
Die zahlreichen verlassenen Häuser und Villen, die einen bitteren und dekadenten Nachgeschmack zurücklassen.
Der Mond, der hinter der Filmleinwand emporsteigt und bei dessen Anblick dem Betrachter das Herz aufgeht.
Und all die baulichen Reste aus der römischen Zeit, und jeder Wahrsager weiß, dass vor den Umayyaden die Byzantiner hier lebten.  

XXX

Inzwischen zu Hause angekommen, genießen wir den Sonnenuntergang auf der Dachterrasse bei einem Gläschen Wein, hören über den Straßenlärm hinweg, bewundern die ockergelben Fassaden um uns herum und schenken der Stadt unsere blinde Liebe, wie die Mutter ihrem Kind.

Anmerkung: „Prisoners of Amman“ ist der Titel eines Musikalbums, das von Individualisten, die derzeit in Jordanien leben, während des Lockdowns infolge der Corona Pandemie produziert wurde. Zu einigen Songs gibt es Videos, die ich hier vorstelle.

Autor: reginatauschek

Weltbürgerin.

7 Kommentare zu „Gefangene in Amman: „Es hat seinen Grund …““

  1. auch dies klasse. Vieles erinnert an Athen, im Guten und Schlimmen. ich dachte daran , dass Amman ursprünglich Philadelphia hieß – also „geschwisterlichen Freunde“. Das passt sehr schön zu diesen wundervollen Menschen.

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