Oh, du geliebtes Venedig

Eine Stadt der Farben, des Lichtes und vieler Schatten. „Foreigners everywhere“ ist der Titel der diesjährigen Kunstbiennale, und beschreibt zugleich das Leben in Venedig.

Ich habe mich in Venedig verliebt. Dieses einzigartige architektonische Kunstwerk, grandiose Bauwerke und Paläste, die aus dem Wasser aufsteigen, versetzen mich in Demut. UNESCO verzeichnete in Venedig die höchste Konzentration der Meisterwerke auf dieser Welt. Eine Stadt, errichtet im Sand und Sumpf einer Lagune, getragen und stabilisiert von Millionen von Holzpfählen. Daran denke ich jedes Mal, wenn ich Venedig betrete. Mehr als 400 Brücken verbinden ein Netz aus rund 100 Inseln und verleihen der Stadt mit Wasserstraßen und Kanälen diesen romantischen Charme. Bewohner steigen vor ihren Häusern in Boote und Gondoliere rudern Touristen durch die Stadt. In einer Gondel durch die schmalen Gassen gerudert zu werden, ist der Höhepunkt jeder Venedigreise, bei der Grenzen von Traum und Wirklichkeit verschmelzen. 

Johann Wolfgang von Goethe besuchte 1786 Venedig und fasste seine Eindrücke in seinem Werk „Italienische Reise“ zusammen. 

„Venedig ist ein Traum von unbeschreiblicher Schönheit, den man nicht mit Worten erfassen kann. Man muss ihn erleben, um ihn zu verstehen“. (J. W. von Goethe)

Venedig erleben, ist eine Herausforderung. Genießen kann man die Stadt nur in kleinen Zeitfenstern früh morgens oder spät abends. Oder man begibt sich Abseits der mit Touristen gefluteten Hauptstraßen, die Hauptattraktionen verbinden.

Venedig am Abend

Den Zauber erleben

Dieses Jahr übernachte ich erstmals nicht in Venedig, sondern auf dem Festland in Mestre. Der Grund ist, dass Venedig zur geplanten Reisezeit nahezu ausgebucht ist, und die wenigen noch verfügbaren Hotel- und Gästezimmer zu unverschämten Preisen angeboten werden. Somit betreten wir Venedig täglich vom Bahnhof in Santa Lucia. Um zur Biennale zu gelangen, durchqueren wir die Stadt von Norden in Richtung Süden.

Aus dem zähen Strom menschlicher Masse, flüchten wir ehestmöglich ins Abseits, und tauchen ein, in ein Labyrinth enger und engster Gassen, wo sich zumeist auch die wenigen noch verbliebenen Venezianer fortbewegen. Das Straßennetz ist verwinkelt, unübersichtlich und gelegentlich menschenleeren. Hinweisschilder die auf Ferienwohnungen hindeuten, korrigieren meine Vermutung, dass hier ausschließlich Venezianer wohnen. Wir streunen durch Stadtteile, ähnlich einer Medina, wie ich sie aus arabischen Ländern kennen, wo man sich leicht verlaufen kann, jedoch nicht verloren geht. Manche Wege führen zu einem Kanal, und von hier nicht mehr weiter. Stille ruht über dem Wasser, Häuser spiegeln sich auf der Wasseroberfläche und das einfallende Licht zaubert ihre Schatten auf die Fassaden. Venedig ist eine Stadt der Gegensätze, die hier sichtbar werden – dekadent und faszinierend, präsent und unaufdringlich, dominant und beruhigend. Wir gehen die Sackgasse zurück, und folgen dem Zauber eines geheimnisvollen und mystischen Venedigs.
Henry James beschrieb Venedig Mitte des 19. Jahrhunderts als „eine Schönheit, die langsam altert, aber nie ihre Anmut verliert“.  Das trifft 150 Jahre später immer noch zu.

Massentourismus

Das Interesse für Immobilien in Venedig ist groß und eines der traurigen Kapiteln dieses prachtvollen Erbes. Im Mittelalter war Venedig eine der größten und mächtigsten Städte Europas und spielte eine entscheidende Rolle im Handel zwischen Orient und Okzident. Heute wird die Stadt vom Festland regiert, Häuser und Wohnungen verkauft und an Touristen vermietet, mit der folgenschweren Konsequenz, dass Wohnraum für die Venezianer knapp und nicht mehr leistbar ist, sodass sie gezwungen sind, Venedig zu verlassen. Die Abwanderung ist dramatisch. Nur mehr knapp 49.000 Venezianerinnen und Venezianer leben noch in ihrer Stadt, und täglich werden es weniger. Die lokale Infrastruktur, wie kleine Lebensmittelgeschäfte, Obsthändler, Bäcker, Schuster etc. werden von Souvenirläden verdrängt, in denen Plastikgondeln und Waren vorwiegend „Made in China“ von Fremden verkauft werden. Eine Spirale, dominiert von exzessiven Konsumdenken und Gewinnmaximierung, ist schon längst im Gange.

Bis zu 30 Millionen Touristen absorbierte die Lagunenstadt vor der Corona Pandemie. Der abrupte Stillstand durch Reisebeschränkung infolge der Pandemie war von kurzer Dauer und der Massentourismus hat bereits wieder Fahrt aufgenommen. Die seit Mai eingeführte Besuchergebühr von 5 Euro an bestimmten Tagen, ist eine Farce, wenn damit ernsthaft dem Besucherstrom entgegengewirkt werden soll. Vielmehr wurden letzten Montag 70.000 Besucher gezählt, das waren um 5.000 Personen mehr als am Pfingstmontag im Vorjahr. 

Die monströsen Kreuzfahrtschiffe, die in der Vergangenheit hinter dem Markusplatz bedrohlich auftauchten, sind verschwunden, nicht jedoch seine Passagiere. Seit 2021 fallen die Kreuzschifftouristen nicht mehr direkt als Masse auf den Markusplatz ein, sondern werden portionsweise mit Bus und Boot vom neuen Kreuzschiffterminal in Marghera-Mestra nach Venedig gebracht.

Rund 80 % der Besucher sind Tagestouristen. Mit ihrer Abreise am Abend lüften sich die Straßen, zurück bleibt ihr Müll. Mit Booten werden nicht nur eine Handvoll Venezianer und massenhaft Touristen entlang des Canal Grande und um die Lagunenstadt transportiert. Auch Krankentransporte, die Feuerwehr, die Post – jeder Transport des täglichen Bedarfs ist auf das vorhandene Gehwege- und Wasserstraßennetz angewiesen, so auch die Müllabfuhr. Und diese hatte ich beobachtet, als in einem Seitenkanal Container mit Müll und Plastik mit einem Kranarm auf ein Boot geladen wurden, womit mir die Herausforderung der Stadtverwaltung deutlich vor Augen geführt wurde.

Die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des Massentourismus sind enorm. Neben der Umweltbelastung und Überlastung der Infrastruktur erleidet Venedig durch die Abwanderung der Einheimischen zunehmend einen Verlust des ursprünglichen lokalen Charakters. Petra Reski und der Venezianer an ihrer Seite sind Zeitzeugen und erleben seit Jahrzehnten den Wandel der Stadt. In ihrem Buch „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“, beschreibt sie auf unterhaltsame und bewegende Weise das Leben in Venedig und die Auswirkungen des Massentourismus. Sie blickt auf die Gesellschaft, in Paläste, auf Geldflüsse und wirtschaftliche Interessen, die hinter den Kulissen bedient werden. Ein Buch, das sensibilisiert, nachdenklich, wütend und manchmal traurig macht, und das man lesen sollte, wenn man Venedig bereist.

Biennale – Foreigners everywhere

Die 60. Kunstbiennale wird unter dem Motto „Foreigners everywhere“ durchgeführt.  Im Zentrum stehen Kunstschaffende, die als Fremde fern ihrer Heimat leben – Immigranten, Geflüchtete, Expatriates, Menschen im Exil – sowie indigene Völker und marginalisierte Gruppen einer Gesellschaft. Die Werke beschäftigen sich mit der Bewegung und der Existenz von Menschen über Grenzen hinweg. Thematisiert werden Migration, Identität, Herkunft und die Kolonialgeschichte. Es geht auch darum, dass wir immer wieder auf Fremde treffen, und auch selbst, egal wohin wir gehen, Fremde sind. 

Hier ein paar Eindrücke:

Impressionen von der 60. Kunstbiennale

Zu recht, wird diesen großartigen Künstlern eine Bühne gegeben, und der Austausch zwischen Nationen über die Grenzen gefördert.
Die Biennale zieht Menschen aus der ganzen Welt an, die sich auch durch Venedig’s Straßen wälzen. Damit wird das diesjährige Motto „Foreigners Everywhere“ um eine zusätzliche Dimension der Betrachtung erweitert. Eine Gratwanderung.

Autor: reginatauschek

Weltbürgerin.

5 Kommentare zu „Oh, du geliebtes Venedig“

  1. kennst du Marco Pogacniks wunderbare geomantische Studie über Venedig?
    Auch ich bin in Venedig verliebt, war aber nur einmal vor vielen Jahren im November dort, saß auf nassen Stufen und aquarellierte Boote und Brücken, die sich langsam aus dem Morgennebel schälten. Seither trage ich die Stadt in meinem Herzen, als Sehnsuchtsort. Wegen der Touristenmassen traue ich mich nicht mehr hin.

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    1. Liebe Gerda, die Studie kenne ich nicht. Vielen Dank für den Tipp!
      Im November stelle ich mir Venedig auch sehr interessant vor. Mit dem Nebel sieht es bestimmt sehr mystisch aus. Ich wollte immer schon mal im Winter hin, hatte es bisher aber noch nicht geschafft. Bestimmt sind dann auch weniger Besucher unterwegs.

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      1. Das schön illustrierte Buch von Podgacnik, das ich besitze, heißt „Die Landschaft der Göttin. Heilungsprojekte in bedrohten Regionen Europas“,1987. Pogacnik setzt fein bearbeitete Steinsäulen auf „Akupunktur-Punkte“, um Landschaften zu heilen. Er ist ein großartiger Zeichner und Bildhauer und ein sehr besonderer Mensch, Slowene. Ich hatte das Vergnügen, ihn vor vielen Jahren kennenzulernen. Inzwischen sind anscheinend noch etliche andere Bücher von ihm über Venedig erschienen.

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