Vom LESEN und SCHREIBEN

8. September: Am Weltalphabetisierungstag begebe ich mich ins aufgeschlagene Buch von Ibn Al-Mustawfi, jenem Mann, der im 12. Jahrhundert die Geschichte Erbils geschrieben hat, und bin dankbar.

Bedenkenlos lesen wir diese Zeilen, und doch ist es keine Selbstverständlichkeit. In vielen Ländern können Kinder nicht zur Schule gehen, weil im Land Krieg herrscht und diese zerbombt sind, Eltern mit ihren Kindern flüchten müssen, Lehrergehälter vom Staat nicht bezahlt werden und daher Unterricht nur sporadisch stattfindet, aufgrund von Armut Kinder arbeiten und zum Familieneinkommen beitragen müssen, patriarchalische Strukturen Mädchen den Schulbesuch verbieten – es gibt viele Gründe. 750 Millionen Jugendliche und Erwachsene sind weltweit betroffen und gelten als Analphabeten, davon knapp zwei Drittel Frauen.

Im achten Jahrhundert galt Bagdad als kulturelles, wirtschaftliches und intellektuelles Zentrum der gesamten islamischen Welt. Heute kann jeder fünfte Iraker im Alter von 10 bis 49 Jahren nicht mehr lesen und schreiben. Drei Kriege und zwölf Jahre Wirtschaftssanktionen innerhalb einer Generation führten zu einem dramatischen Anstieg der Analphabetisierung, Frauen und die Landbevölkerung sind verstärkt betroffen. Im Jahr 1990 konnten laut UNESCO 90 Prozent der Mädchen lesen und schreiben, im Jahr 2003 waren es nur mehr 24 Prozent. In den vergangenen Jahren lebten knapp eine Million Kinder unter dem Terror des „Islamischen Staates“. Schulen waren Burschen vorbehalten, wo sie mit IS-Ideologien indoktriniert, im Morden geschult und zu Selbstmordattentätern ausgebildet wurden, sodass viele Eltern ihre Söhne zuhause versteckten, um sie vor diesem Unterricht zu schützen.

Analphabetismus ist aber nicht nur auf Kriegs- und Krisengebiete sowie arme Länder des globalen Südens begrenzt, auch reiche Staaten sind zunehmend davon betroffen.  Knapp eine Million Österreicher und 7,5 Millionen Deutsche können unzureichend lesen und schreiben. Insgesamt sind sogar mehr als 20 % der österreichischen Bevölkerung von irgendeiner Form des Analphabetismus betroffen, sei es, dass sie ganze Textstellen inhaltlich nicht erfassen oder sich schriftlich nicht ausdrücken können. Einige haben lesen und schreiben nie erlernt, oder aufgrund mangelnder Ausübung wieder vergessen.
Conrad Lienhardt fasst in seinem Blogbeitrag  „Analphabetismus – ein verdrängtes Phänomen“ interessante Fakten zusammen und reflektiert im Artikel „Zu lange, das lese ich nicht – Folgen für das Marketing“ über das Leseverhalten in einer Gesellschaft mit zunehmendem funktionalen Analphabetismus.

Der diesjährige Weltalphabetisierungstag steht unter dem Motto “Literacy and skills development”, dabei werden mit einem ganzheitlichen Ansatz neben Lesen und Schreiben auch berufliche Kompetenzen vermittelt, die Menschen künftig besser für den Arbeitsmarkt vorbereiten. Der Erwerb von handwerklichen und beruflichen Fähigkeiten sind darüber hinaus ein wesentlicher Bestandteil entwicklungspolitischer Maßnahmen zur Bekämpfung von Fluchtursachen, indem durch verbesserte Chancen auf dem Arbeitsmarkt Einkommensmöglichkeiten und damit Zukunftsperspektiven geschaffen werden.
In Österreich werden nun Lehrlinge mit negativem Asylbescheid aus ihrer Berufsausbildung herausgerissen und in ihre Herkunftsländer, wie z. B. Afghanistan, abgeschoben. Die Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“ hält am Erfolgsprojekt „Lehre für Asylwerbende in Mangelberufen“ fest und fordert die Aussetzung der Abschiebung für Menschen in Lehre und Ausbildung. Als Alternative erstrebt die österreichische Bundesregierung nun ein generelles Verbot für junge Asylwerber eine Lehre zu beginnen. Damit wird Jugendlichen erneut eine Chance auf Berufsausbildung verwehrt und zwar auf Kosten rechtspopulistischer Versprechen gegenüber einer verblendeten Wählerschaft. Das deutsche Modell „3 plus 2“, das vorsieht, dass Asylwerber nach dem Lehrabschluss noch automatisch zwei weitere Jahre bleiben dürfen, erscheint hier sinnvoll.

Bildung ist ein universelles Menschenrecht und die Grundvoraussetzung für Fortschritt, Wohlstand, soziale und wirtschaftliche Entwicklung, Stabilität, Sicherheit und Frieden. Das gilt für alle Staaten, auch für Bürger reicher Länder, wie etwa Österreich.

Autor: reginatauschek

Weltbürgerin.

6 Kommentare zu „Vom LESEN und SCHREIBEN“

  1. Das „3 plus 2“-Modell wäre (<-Konjunktiv) sinnvoll. Mindestens in Bayern erhalten Geflüchtete mit "Duldung" oder aus Ländern "mit geringer Bleibeperspektive" (darunter Pakistan und Afghanistan) keine Arbeitserlaubnis, um überhaupt erst einen Ausbildungsvertrag schließen und eine Lehre absolvieren zu können. Weil: Abschieben geht vor Ausbilden Es ist zum Wimmern.

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  2. 17%, wie in deiner Quelle zu lesen ist, sind schon schlimm genug, es müssen nicht auch noch mehr als 20% werden, wie in deinem posting steht 🙂 Einen interessanten blog habe ich da entdeckt. Herzliche Grüße

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    1. Myriade, vielen Dank für deinen Hinweis! Die 17% beziehen sich auf das Ergebnis der PIACC Studie, also auf Menschen, die über eine nur niedrige Lesekompetenz verfügen. (funktionale Analphabeten). Hinzu kommen noch 4% Analphabeten, die nie lesen und schreiben gelernt haben. Sekundäre Analphabeten, die lesen und schreiben gelernt, aber die Fähigkeit wieder vergessen haben, sind hier mangels verlässlicher Daten nicht erwähnt. Lg Regina

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      1. Besonders schlimm finde ich, dass es sekundäre Analphabeten gibt, egal wie viele es nun sein mögen. Menschen, bei denen es nicht gelungen ist, ihnen die grundlegendsten Kulturtechniken zu vermitteln.

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