Ich drücke die Taste „Lange lebe das vereinte Europa“, lasse die Hetzkekse rechts liegen und fühle mich speiübel, nachdem ich die virtual-reality Fahrt durch das NS-Reich beendet habe. Am Feedback-Telefon raunzt mir Gabalier halli-hallo ins Ohr und zwingt mich zum Auflegen.
Heimaturlaub. Geplant war eine Fahrt nach Wien, um an der nächsten Donnerstagdemo gegen die österreichische Regierung teilzunehmen. Inzwischen hat sich die türkis-blaue Regierung weitgehend selbst zerstört, und stattdessen fahre ich nach Graz und durchlaufe Jan Böhmermann’s Ausstellungsparcours „Deuscthland Asnchluss Östereich“ in dem er die politische und kulturelle Situation Österreichs schonungslos beleuchtet.
Das Trennende vor das Gemeinsame
Am Eingang passiere ich eine Passkontrolle, die mich als Österreicherin von den Ausländern trennt. Für Faschisten ist ein Schlupfloch durch die Hundeklappe vorgesehen. Telefon und elektronische Geräte werden mir abgenommen. Eine pinkfarbene Plakette markiert mich als Österreicherin, eine grüne den Ausländer.
„österreich ein vom faschismus geleiteter blinddarm großdeutschlands immer mit dabei aber nie schuld“, ist die erste Phrase, die mir auf die Netzhaut schlägt. „verteidigen bedeutet nicht sich hinstellen und schläge aushalten. verteidigen bedeutet aufstehen und gerade machen und immer zwei schritte nach vorne“ lese ich im Text weiter unten.
Meinungsfreiheit
In der Mitte des Ausstellungsraumes steht ein Eierbett, die Schlafstatt eines engagierten Künstlers, errichtet aus 1400 Eiern und Kiefernholz. Einige davon bereits zerbrochen.
Daneben befinden sich vier Wahlurnen. Die erste ist bereits geschlossen und die Befragung beendet. Der Wähler konnte sich – vermutlich bis zum Auftauchen des „Ibiza-Videos“ letzte Woche – zwischen „Strache ist ein Nazi“ und „Strache ist spitze“ entscheiden. Dem Infoblatt entnehme ich, dass die Stimmenabgabe kameraüberwacht erfolgt. Ausserdem wird mit dem Drücken jeder Antworttaste ein Foto vom Wähler gemacht und dieses sogleich am Twitter-Account veröffentlicht. Bei den weiteren Fragen stehen folgende Antworten zur Auswahl: „Halli Hallo“ oder „Hallo Halli, gefolgt von „Israel“ oder Palästina“ sowie „Lang lebe das vereinte Europa“ oder „Österreich verreckt“.
Für den kleinen Hunger zwischendurch werden „Hetzkekse mit 100 % Hass“ angeboten, die man sich beim Automaten kaufen kann.
Kanzlermächte
Bei der nächsten Station bestaune ich die witterungsfeste Wanderbekleidung des Kanzlers. Wanderhose, Jacke, ein Schuhband und sein rechter, blauer Socken liegen zum Anfassen vor mir. Einem Originalschreiben aus dem Bundeskanzleramt entnehme ich, „die Wanderkleidung des Herrn Kurz ist so gut wie nie getragen …“. Daneben ist das Bergoutfit der deutschen Kanzlerin ausgestellt.
Weiter geht es über eine Rampe in den Wald. Dem Hinweisschild „der Vizekanzler darf nicht körperlich berührt werden“ entnehme ich, dass hier einst HC Strache stand. Nicht mehr viel ist von ihm übrig. Ich blicke auf Bruchstücke eines Vizekanzlers und Fetzen seiner Tarnuniform. Lose Blätter der Bundesverfassung liegen um ihn verstreut, zwei intakte Exemplare baumeln über dem Opfer. Die Vögel zwitschern.
Geschichte erleben
Am Messestand wirbt HG Business Consulting engagiert für Kundschaft. Es gilt den von den Saudis und China finanzierten Reichspark, ein wahres Edutainment, eine unvergessliche Zeitreise und die spannende Zeit zwischen 1933-45 im NS-Themenpark zu erleben. Werbefilme nehmen den Zuschauer mit und zeigen Kinder, Eltern und Großeltern in ausgelassener Fröhlichkeit. Die kommerzielle Verherrlichung der NS-Zeit zieht den Betrachter in den Bann. Versprochen wird „Living History“ und ein verantwortungsvolles Bildungsangebot. Eine aufregend, realistische Kulisse, knapp 300 traditionell kostümierte Wehrmachtsoldaten, Zivilisten und Kampftruppen, spannende Szenen aus dem Alltag im Dritten Reich, im Heimatdialekt singen und tanzen, verspricht der Veranstalter. Zudem gibt es ein Modell des Reichparks zu beschauen, jedoch nicht – wie die rechte blaue Kanzlersocke – zum Anfassen.
Ich setze die 4D-Bille auf und tauche durch Hitlers’s Schlund in die Tiefen der NS-Vergangenheit. Vorbei an brennenden Häusern und Panzern, durch das Büro des Reichskanzlers, vorbei an Schäferhunden und mir waagrecht entgegengestreckten Armen. Nachdem die ersten Bomben fallen, geht es mit rasender Geschwindigkeit abwärts in den Punker, durch enge holprige Stollen bis nach Stalingrad. Ich nehme die Brille wieder ab, und mir ist übel. Sehr übel.
Feedback
Ich begebe mich zur Toilette in den Keller und stoße dort, also „ganz unten“ auf die Namen Felix, Fritzl, Austria und Priklopil und zucke zusammen.
Pointiert, schonungslos und verdammt gut, ist diese Ausstellung und ich greife zum Feedback-Telefon. Halli Hallo raunzt mir Gabalier ins Ohr. Auch das noch, denke ich.
Abschließend scanne ich nochmals den Wandtext und bleibe an folgenden Zeilen hängen:
Österreich zeig mal was du kannst
dieses mal
auf, auf! die Zukunft ist freundlicher als die Gegenwart sich anfühlt
Bedrückend – und das nennt sich nun „Heimaturlaub“, hoffentlich ist noch viel Schönes dabei.
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Österreich hat ja glücklicherweise auch schöne Seiten und liebe Menschen, auch wenn die Innenpolitik derzeit davon ablenkt.
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