Nyamtstseg hat das Blut einer Nomadin. Vom Wesen unkompliziert, stets freundlich und mit einem Hauch Noblesse. Ihre Worte sind überlegt und einfühlsam – und von richtungsweisender Klarheit. Einst ein „Reitkind“, unterrichtet sie heute an der Universität. Ihr Lachen wärmt und zum Abschied sagt sie „Pfiat Di“.
Mein Name ist Nyamtsetseg, ihr könnt mich auch Hase nennen, falls es für euch einfacher ist – waren ihre ersten Worte. Nein, das tun wir nicht. Mithilfe einiger Eselsbrücken lernen wir ihren Namen auszusprechen, zumal dieser übersetzt „Sonnenblume“ heißt, und exakt zu ihr passt.
Nyamtsetseg wuchs als Nomadenkind auf. Die siebenköpfige Familie lebte von ihren Tieren: Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen. Als siebenjähriges Mädchen begann sie zu reiten. Auf die Frage, wie hat sie es gelernt, folgt eine knappe Antwort: man schaut den anderen zu und reitet. Verstehe.
Schon früh werden Nomadenkinder in die „Hausarbeit“ eingebunden. Entgegen der Tradition half Nyamtsetseg nur selten ihrer Mutter beim Melken, sondern hütete mit ihrem großen Bruder die Tiere auf der Weide. „Ich war wie ein Bub“ fügt sie hinzu und lächelt verschmitzt.
Nyamtsetseg schlüpft in ihren lilafarbenen „Deel“, dem traditionellen, mongolischen Mantel, fixiert ihn mit einem grünen Band in der Taille und schwingt sich aufs Pferd. Noch rasch werden die Steigbügel angepasst – bei uns etwas verlängert, bei Nyamtsetseg verkürzt – und los geht’s.
Dass Nyamtsetseg einst ein „Reitkind“ war und beim Nadaam Fest, dem Nationalfest der Mongolen, zahlreiche Preise gewonnen hatte, erfuhren wir erst am Tag der Abreise. Eine weitere Facette ihres Charakters: nicht sie selbst, sondern der Gast steht im Mittelpunkt, den sie aufmerksam beobachtet.
Nach dem Abitur übersiedelte Nyamtsetseg in die Hauptstadt und studierte Deutsch. Wieso Deutsch, frage ich. Reiner Zufall. Ohne davor irgendwie mit der Sprache in Verbindung gekommen zu sein, wählte sie eine „exotische Sprache“, während sich die meisten für Russisch oder Chinesisch entschieden. Zwei Jahre später folgte ein Auslandsstudium in der Schweiz. Als Studentin profitierte sie von einem günstigen Bahntarif und war somit jedes Wochenende unterwegs. Viele schöne Erinnerungen sind geblieben – unter anderem auch, dass sich im Dorf alle Leute auf der Straße grüßen, die vielen alten Menschen, die Sauberkeit, kein Hupen im Straßenverkehr und dass man im Bus den Knopf drückt, um auszusteigen. Während sie erzählt, kommt die Überraschung noch heute zum Ausdruck.
Zurück in der Mongolei beendete Nyamtsetseg ihr Masterstudium und ging anschließend nochmals ein Jahr nach Österreich, wo sie als AuPair bei einer Familie arbeitete.
Seit 2012 unterrichtet Nyamtsetseg an der Universität in Ulan-Bator Deutsch, und ist nun Mutter einer dreijährigen Tochter. In den Sommerferien begleitet sie deutschsprachige Reisegruppen durchs Land.
Inzwischen haben auch die Nomaden eine gewisse Modernisierung erfahren. Hirten steigen zunehmend von Pferden auf Motorräder, Satellitenschüsseln liefern einen Programm-Mix in die Jurten, Smartphones beschäftigen Kinder, Solarpaneele speisen Autobatterien, an die abends Glühbirnen angeschossen werden. „Manches ist einfacher geworden, doch nicht alles wurde damit besser“, resümiert Nyamtsetseg.
Nyamtsetseg und ihr Team zeigten uns eine Welt – nämlich ihre Nomaden-Welt – wo wir lernen und sehen konnten, wie Menschen mit sehr wenig glücklich sind. Vielleicht die schönste Erfahrung, die ich bei dieser Reise machen durfte.
Chapeau, beeindruckend geschriebener Bericht, freue mich auf die nächsten
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Vielen Dank, Peter
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Liebe Regina,
wieder ein sehr schöner Bericht über ein interessantes Frauenleben!
Herzliche Grüße
Gabi
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Vielen Dank, liebe Gabi! Ich freue mich, dass er Dir gefällt.
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