Quarantainment #1

Wenn morgens der Schädel brummt, die Augen noch geschlossen sind, aber die Brille bereits sitzt, hat sich eine gewisse Routine im vorherrschenden Ausnahmezustand eingeschlichen.  

Erste Zwischenzeit: 14 Tage Homeoffice, 9 Tage Ausgangssperre.
Es ist die Sirene, die mich am Samstag, den 21. März um 7 Uhr morgens wachrütteln. Auf sehr eindringliche Weise wird die Bevölkerung auf die Ausgangssperre aufmerksam gemacht. Eine Stunde später werden wir ebenso daran erinnert. Mir ist klar, wir befinden uns jetzt im Krieg gegen die Ausbreitung eines unsichtbaren Feindes, und ich stehe auf. Draußen ist es gespenstisch ruhig im sonst verkehrsdichten Amman, im Haus sowieso, denn im fünfstöckigen Gebäude leben derzeit nur mein Kollege, der Hausmeister und ich.

An meiner morgendlichen Routine hat sich seither wenig geändert. Ich stehe pünktlich auf, begebe mich in ein kaltes Badezimmer und dusche warm, kleide mich etwas bequemer als sonst. Auf die ohnehin bescheidene Schminke verzichte ich, dafür beflügle ich meine Aura mit einem Spritzer herber Frische der Marke Lagerfeld.

Ich schreite zur Kaffeemaschine, tische ein bescheidenes Frühstück auf, und starte mein Homeoffice, indem ich meinen Laptop öffne. Ich lese und beantworte Mails, verschaffe mir einen Überblick über anstehende Skypemeetings und diverse Hausaufgaben, und informiere mich auf unterschiedlichen Kanälen über das, was mir wichtig erscheint.
Seit knapp zwei Wochen poste ich morgens auf Instagram ein Foto von meinen früheren Einsätzen unter dem Hashtag „picforlight“. Die Idee dahinter ist, in Zeiten der Quarantäne ein wenig Freude, Farbe und einen Abstich der Welt in den räumlich begrenzten Alltag zu zaubern.

Was mich schon jahrelang digital begleitet, wird nun interessant, nämlich zwei CDs für Voicecoaching mit Karin Ploog. Ohne unmittelbare Nachbarn und nachdem ich alle Fenster geschlossen habe, gebe ich mich dieser Aufgabe weitgehend hemmungslos hin und trillere täglich eine Stunde die Tonleiter auf und ab. Mein subjektives Empfinden wittert Fortschritt und stimmt mich positiv.

Keine Ahnung welcher Blitz mich heute morgen traf, jedenfalls stürze ich mich eifrig auf die Produktion von Muffins. Dem Lebensmittelvorrat entsprechend, entscheide ich mich für ein einfaches Rezept ohne Extras. Zutaten sind rasch gemixt, in die Form gefüllt und sogleich im vorgeheizten Rohr. Als der Teig vom flüssigen in den festen Zustand übergeht, kommt das böse Erwachen. Backpulver vergessen! Dieser Umstand beschäftigt mich mit dem Backen dann doch etwas länger als geplant, da ich jede geringste Bewegung der Teigmasse durchs Backofenfenster hoffnungsvoll beobachte. Nun gut, das Teigvolumen hat sich weitgehend unauffällig verändert, und der Geschmack verbreitet schlechte Laune. Ich entsorge das Misslungene. In Zeiten der Ausgangssperre, wo man nur schwer an Mehl, Zucker und Eier kommt, eine schmerzliche Erfahrung.

Apropos Lebensmittel. Auf WhatsApp folge ich der Kommunikation von Frauen in Amman, die sich unter anderem über Lebensmittelbeschaffung rege austauschen. In den ersten drei Tagen der Ausgangssperre waren alle Häuser und Geschäfte dicht, am vierten Tag mobilisierte die Regierung Busse, um die Bevölkerung mit Brot zu versorgen. Fotos und Videos zeugen von Menschenschlagen auf den Straßen, und Individuen mit Brot. Ich warte vergeblich. Seit einigen Tagen wird nach Quellen für frisches Gemüse gesucht. Inzwischen sind die kleinen Lebensmittelgeschäfte geöffnet. Im Umkreise von 500 Metern darf man sie kurz aufsuchen, und ich ziehe los. Gemüse gibt es nicht, und ich kehre zurück mit drei Bountys, drei Snickers, Trinkyoghurt … – also Sachen, die ich nie esse und mir auch nicht fehlen, doch die es eben gab. Während die Frauen in der WhatsApp Gruppe bereits ihre Gemüsesuppen kochen und sich über Rezepte austauschen, nehme ich zur Kenntnis, dass ich in der Versorgungskette schlecht platziert bin.

Mein sonniger Lichtblick ist ein Besuch bei meinem Kollegen, der zwei Stockwerke tiefer wohnt, und seinen Balkon mit einer Hängematte ausfüllt. Im Unterschied zu meiner nach Westen ausgerichteten Wohnung, zeigt sein Balkon in Richtung Süden. Dort ist für mich ein Zeitfenster am frühen Nachmittag zur Nutzung seiner Hängematte eingerichtet, wo ich dann, sofern die Sonne scheint, ein gutes Weilchen verbringe. Und während ich so schaukle, piepst mein Telefon und erinnert an den nächsten Termin: „Dana – Petra“ erscheint am Display. Ich empfinde Wehmut, denn eigentlich sollte ich jetzt im Urlaub sein und vier Tage von Dana nach Petra wandern. Die Strecke gilt laut GEO Reisen als eine der schönsten Wanderungen.

Die verhängte Ausgangssperre und die damit auferlegte „soziale Distanzierung“ führt auf anderen Kanälen verstärkt zusammen. Ich telefoniere über Skype wieder mehr mit Menschen, vor allem auch mit jenen, von denen ich schon lange nichts mehr gehört habe, und stelle fest, dass mit zunehmendem Quarantainment hierfür die Zeit fast schon wieder knapp wird.

In grenzenlose Verzückung versetzt mich das Kultur-Online-Angebot. Nach einem missglückten Start bin ich nun gut aufgestellt. Anfangs registrierte ich mich beim VOD Club des Linzer Moviemento Kinos, wähle in berauschender Vorfreude meine Filme für die nächsten Wochen, ja Monate aus, und erlebe die herbe Enttäuschung, denn das Service funktioniert nicht in Jordanien. Inzwischen haben sich jedoch neue Wege gefunden, wie etwa player.globe.wien. Hier bieten österreichische Kabarettisten einige Programmstücke an. Meine heitersten Quarantäne-Abende verdanke ich seither Andreas Vitasek und Klaus Eckel, allerdings bin ich mit dem Programm noch nicht ganz durch. In der Wiener Wochenzeitschrift Falter ist nun das Online-Kulturprogramm zusammengefasst. Eine wahre Freude, in Zeiten wie diesen!

Ein  weiterer Fixpunkt in meinem Quarantainment ist das Fensterbankl von Andie Gabauer in Wien, wo ich über Facebook jeden Abend dabei bin und einige Linzer Freunde treffe. Andie spielt unermüdlich um 18:00 Uhr von seiner Fensterbank, eine halbe Stunde alte und eigene Hits auf seiner Gitarre, selbst an seinem gestrigen Geburtstag. Das finde ich extrem cool, und gute Laune ist bekanntlich auch ansteckend. Bei mir wirkt es.

Das ist ein kleiner Auszug aus meinem derzeitigen Alltag in einem Land, in dem Ausgangssperre wörtlich genommen wird.

Und wie immer wünsche ich allen Leserinnen und Lesern: G‘sund bleiben!

Autor: reginatauschek

Weltbürgerin.

10 Kommentare zu „Quarantainment #1“

  1. liebe regina,

    ich habe in letzter zeit oft an dich gedacht. nicht nur weil ich deine fotos auf facebook sehen, sondern auch weil ich mir gedanken mache, wie es dir wohl in diesen zeiten geh.

    ich freue mich über deinen blog.

    liebe grüße

    uschi

    Uschi Christl frauenleben.eu

    >

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  2. Herzliche Grüße hinüber zu dir, Regina! Du bist tapfer, organisierst dich und machst das beste aus der Situation. Bravo! Ich schaffe das nicht so gut, denn ich denke Tag und Nacht nur an Flucht. Die Wanderung nach Petra – ach, hoffentlich kannst du sie bald machen! Gerda, Athen.

    Gefällt 2 Personen

    1. Vielen Dank, liebe Gerda! Dir auch alles Gute, und mögen wir die Zeiten gut und bald überstehen. In Zeiten wie diesen, lernt man den Begriff Freiheit umso mehr zu schätzen. Ganz liebe Grüße und alles Liebe nach Athen.

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